Zurück aus dem Urlaub - oder: Tod auf Mallorca (Sommer 2010)

Ich bin mir sicher, in einem Parallel-Universum säße ich jetzt im Knast - wegen Mordes am deutschen Landsmann. Für einen Krimi werden meine Erlebnisse nicht reichen - zumal ich mich noch nie an einem Krimi versucht habe; dennoch möchte ich meine Beobachtungen irgendwie festhalten - schon alleine, um sicher zustellen, dass ich mich niemals - niemals - wieder in ein Club-Familien-Hotel einbuche...

Die erste Woche war eigentlich ganz erträglich: Die Erwachsenen-Bespaßung bestand aus einer stampfenden Truppe, die das Ganze als Flamenco verkauft hat, einer ABBA-Show (die ich mir nach Ansehen der Flamenco-Farce erspart habe, was ebenso für die "We will Rock You"-Show gilt und für alles Folgende...), diversen Turnieren, bei denen sich Menschen, die noch nie einen Ball gesehen haben, Muskel und Bänder gedehnt und zerrissen haben... also alles, wovon ich sofort Abstand genommen habe. Stattdessen lag ich am Strand oder am Pool - oder ich war Essen. Wie gesagt: Die erste Woche war eigentlich ganz erträglich. Dann entdeckte ich dieses "Nimm-ein-Buch-und-lass-eines-da"-Regal im Eingangsbereich des Hotels. Ein Buch lachte mich an: "Frau Ella" von Florian Beckerhoff. Was hab ich gelacht! Und mich amüsiert. Köstlich.
Das nächste Buch war James Pattersons "Tagebuch für Nikolas". Der Teufel muss mich geritten haben, dieses Buch in die Hand zu nehmen. Der Inhalt bringt den Leser an die Grenze des Erträglichen; zumindest wenn man die Art von Leser ist, die bei der Geburt des eigenen Kindes kein Handbuch „Hirn abschalten“ von der „Gesellschaft zur Verblödung von Vätern und Müttern“ erhalten hat und nicht zu einem hormonüberfrachteten Wesen mutiert ist. Wer bitte steht nachts am Bett seines Kindes und wirft dem schlafenden Nachwuchs Luftküsse zu? Kinder wachsen, bekommen Zähne, lernen dazu, verletzen sich, verletzen dich… das ist der Lauf der Dinge. Kinder brauchen Eltern, die am Boden der Tatsachen bleiben, die ihnen das richtige Gespür für die eigenen Möglichkeiten, Fähigkeiten und Schwächen geben, die sie mit Stärken ausstatten, um das Leben zu meistern. Die Rezension sagt alles: Ich war mir sicher, das schlechteste Buch seit langem in der Hand gehalten zu haben. Und ich war mir sicher, dass es solche Eltern, solche Mütter nicht gibt. Das Universum wollte mir offenbar demonstrieren, wie sehr ich mich irrte.

Ab diesem Zeitpunkt war ich umgeben von Menschen, von denen ich nie gedacht hätte, ihnen jemals zu begegnen. Gott hat Humor - oder er wollte mir eine Lektion erteilen. Ich habe keine Ahnung. Vielleicht dachte er, er schenkt mir ein wenig Inspiration für einen Krimi oder so... Wer weiß schon, was Gott sich denkt...

Wir sitzen gemütlich im Frühstückssaal. Auf meinem Teller Salat, daneben ein Schälchen Joghurt mit roten Früchten, einen doppelten Espresso und - weil Sonntag ist - ein kleiner Croissant. Um mich herum lauter Menschen, die diesen Sonntag Morgen offenbar ebenso sehr genießen, wie ich. Ich setze gerade an, in das Buttergebäck zu beißen, als neben mir zwei Stimmchen ertönen und zu einem Lied ansetzen. "Der Mond ist aufgegangen" höre ich und drehe meinen Kopf. Ich sehe Rücken - viel Rücken; und dann höre ich eine Frauenstimme, die die dritte Stimme des Liedes bildet und wohl der Meinung ist, dass Kinder ihre Kreativität entfalten und ihre Persönlichkeitsrechte überall und immer ausleben dürfen; auch jetzt am Sonntag, in mitten eines Frühstückssaales, bei dem viele andere Menschen in Ruhe frühstücken wollen. Ich kann mein Glück ob dieses spontanen Konzerts nicht würdigen und blicke um mich in fassungslose Gesichter meiner Mit-Urlauber. Der Rücken - die Mutter der beiden Kinder, die mehr breit als lang ist - fängt mit Beendigung des Liedes ekstatisch an zu klatschen und ruft mit honigsüßer Stimme: "Das habt ihr fein gemacht!" Der Vater kommt dazu, klatscht ebenfalls in die Hände und ruft mit der Stimme des schwulen Cäsar bei Life of Brian: "Wie schön! Wollen wir nicht noch ein Liedchen anstimmen?" - Ich rufe über den Rücken: "Wollen wir nicht einfach die Klappe halten?" Applaus von meinen Mit-Urlaubern, beleidigte Mienen vom Rücken und Pseudo-Cäsar.

Naja - dachte ich. Das ist jetzt ein Paar von vielen, die ihre Kinder als Projekt sehen. Wird schon nicht so viele davon geben...

Doch dann kamen am Montag Busse und brachten eine neue Welle von Urlaubern an. Um eines vorab klar zu stellen: Ich liebe meine fränkische Heimat. Ich bin jahrelang stolz gewesen, aus Bamberg zu stammen, pflegte meinen Dialekt und schickte den einen oder anderen Touristen auch gerne mal wo anders hin, wenn er mir erzählen wollte, dass Klein-Venedig nicht am Fuße des alten Rathauses wäre sondern irgendwo im Hafen und mich dann fragte, wo der "Neptunsbrunnen" sei; da war ich ein pubertierender Teenie und musste mein Hirn neu ordnen. Aber ich wusste immer, wie ich mich zu benehmen hatte, wenn ich im Ausland, bei Gästen oder sonst wo war... Ich wusste, welchen Ton ich meinen Eltern gegenüber anschlagen durfte und welchen besser nicht.

Heute überlege ich mir, ob ich der Welt wirklich noch erzählen will, dass ich aus Franken komme. Denn ich wurde Zeuge folgenden Dialogs:
Ich döse auf der Liege am Pool. Es ist nun schon seit etwa neun Tagen relativ ruhig und beschaulich, Kinder kreischen ab und an, weil sie ins Wasser springen oder sich freuen, Erwachsene lachen, spielen Ball...
Dann ertönt ein Schrei:
  • "Mammah, wieso host'n du vo' maim Schogglaad g'fress'n?" (Mutter, wieso hast du von meiner Tafel Schokolade gegessen?)
"Marrgoh" (Marco) hat auf dem Zimmer offenbar entdeckt, dass ein Stück seiner Ritter-Sport-Schokolade fehlt. Ich war gespannt, ob es jetzt eine Ohrfeige oder eine Standpauke oder beides geben würde.
Doch:
  • Mamma: "Iech hob nix vo' daim Schogglad g'ess'n. Ehrlich nedd!" (Ich habe nichts von Deiner Tafel Schokolade gegessen. Wirklich.)
Wie bitte? Muss die Frau sich auch noch entschuldigen?
  • Maarrgoh: "Eds griech iech vo' diä 10 Euro. " (Ich bekomme jetzt 10 EURO von dir)
    Mutter: "Fai echt! Iech hob nix g'ess'n vo diä! Fälleicht woas dä Babba." (Wirklich! Ich habe Dir nichts weggegessen. Vielleicht war es der Papa.)
  • Babba: "Naa, sicher nedd." (Nein, mit Sicherheit nicht.)
  • Mamma: "Fälleicht woas die Budsfraa." (Vielleicht war es die Putzfrau)
  • Ahleggs (Alexander, Bruder von Marrgoh): "Naa, däs woast scho du. Bist eh scho so fett." (Nein, das warst sicherlich du. Deine Figur spricht dafür.)
  • Marrgoh: "Iech geh ned ehrer wech, bis iech ka 10 Euro gricht hob. Unn a Wassäkammerah! Des is mai vollä Ernst!" (Ich gehe hier nicht eher weg, bevor ich nicht 10 Euro bekommen habe; und eine Unterwasserkamera. Das ist mein voller Ernst.)
(...)

So ging das am laufenden Band weiter. In einer Lautstärke und mit einer bewundernswerten Selbstsicherheit, mit einer Zuversicht, dass alle - sogar die Menschen in Afrika - an dieser Konversation unbedingt teilhaben wollen.

Von da ab bestimmte die fränkische Proll-Familie des Geschehen am Pool und im Essbereich... Ich war mir sicher, dass manche Boote in Seenot... nein... lassen wir das. Nur in einem Paralleluniversum sitze ich im Knast wegen unterlassener Hilfeleistung... Immerhin hat mein Mann ein Mädchen vor dem Erstickungstod bewahrt; sie hatte versehentlich eine Kalamarie eingeatmet, anstatt sie in der Speiseröhre hinunterzuschlucken. Mein Mann, der Held...

Die ganzen anderen baggerfahrenden Kinder erwähne ich am besten gar nicht erst - wohl aber, dass sie auf MEINEM Esstisch Bagger fuhren - während ich aß, wohlgemerkt... beobachtet von den ach so stolzen Eltern, die sicher waren, dass ihr Kind eines Tages Brücken in Afrika bauen würde...

Ja, fragen Sie sich bestimmt: Hat sie den nichts Schönes erlebt auf Mallorca?

Doch - ich habe meine Schreiblust wiedererlangt. Nachdem ich seit Wochen nicht mehr an Dantez geschrieben habe, weil ich mich einfach nicht entscheiden konnte, welche der römischen Straßen er benutzt hat, bin ich in diesem Punkt endlich weiter gekommen. Hinter mir lag nämlich eines Nachmittags ein uralter Däne, der sich angeregt mit seiner Frau unterhielt - auf Dänisch, klar... Hab auch nichts verstanden. Dennoch lauschte ich eher unbewusst dem skandinavischen Gespräch, döste vor mich hin und empfing Bilder, die mir schlagartig klar machten, warum ich mich für keine der römischen Straßen entscheiden konnte: Ganz klar: Dantez wurde verschleppt. Das kann ich an dieser Stelle gerne verraten...

Auf jeden Fall wollte ich ab diesem Zeitpunkt (Tag 11) augenblicklich nach Hause, um mich wieder der Schreiberei zu widmen; denn einen Laptop hatte ich wegen der Schreibblockade gar nicht erst mitgenommen. Ein Fehler, den ich nie wieder begehen werde. Jetzt liegen zig Servietten vor mir, die alle verarbeitet werden wollen. Denn Klopapier war mir doch zu dünn (danke nochmal an den super Tipp, Ulli! ;-) Wozu Feinde, wenn man Freunde hat, gell? ;-) )

Nun, das waren meine vierzehn Tage Mallorca...

Wer sich in diesem Artikel wiedererkennen sollte: Ja, ich war die schwarzhaarige Frau neben Ihnen, die so komisch geschaut hat...

- in: 1210 mal gelesen
M. (Gast) - 9. Sep, 18:56

Krimi...

...mit dem Thema: Muttermord in der Einöde einer Mittelmeerinsel aufgrund erlittenen Traumas in der Kindheit infolge permanenten Mundraubes in Form von heimlich gegessener Schokolade!

Das wäre es doch...


Susanne Pilastro - 27. Apr, 13:44

Edit Mallorca-Erlebnisse:

Zitat aus der Rezension zu "Tagebüch für Nicolas" eingefügt.

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