Leseprobe Don Diego

copyright Susanne Pilastro

Prolog

An Diego Rodriguez Acosta
Calle Santiago 9
Sevilla

El Agudo, 16. November 1868

Sohn,
nur ungern schreibe ich Dir vom Tode Deines Bruders. Über die unglücklichen Umstände will ich an dieser Stelle nicht sprechen. Nur so viel: Er ist im Sommer von uns gegangen und hinterlässt eine äußerst große Lücke, die es nun – so gut es geht – zu schließen gilt, denn mit meiner Gesundheit ist es nicht zum Besten bestellt.
Auch wenn ich in den vergangenen fünfundzwanzig Jahren nicht an Deiner Erziehung beteiligt war, hoffe ich, dass aus Dir ein Ehrenmann mit Sinn für Familienzusammenhalt geworden ist. Denn wie Dir bewusst sein dürfte: Du bist jetzt der Erstgeborene und es ist nun an Dir, Ernestos Platz einzunehmen. Labundante ist seit Anbeginn in den Händen der Rodriguez – und so soll es auch bleiben!
Ich erwarte Dich im Frühjahr. Es gibt viel zu klären.
Bis dahin grüßt Dich
Vater

Post Scriptum: Anbei findest Du die Fahrkarte zweiter Klasse für eine Überfahrt von Càdiz nach Caracas.



Teil I – Übersee
1. Abschied


Cadiz, Ende März 1869

Es war ein sonniger Tag ohne Wolken. Ich hatte es mir auf der Terrasse einer Taverne an der Plaza de España bequem gemacht und genoss die Aussicht auf den Hafen. Den Horizont konnte man fast nicht sehen, so fließend vereinte sich das Azur des Himmels mit dem Königsblau des Wassers. Die Frühlingsluft war erfüllt von Blumenduft, vermischte sich mit dem Salz des Meeres und kreierte jenen Geruch von Freiheit, der sich fest ins Gedächtnis setzt; den man sich Jahre später noch aus der Erinnerung holen kann – in Momenten, in denen die Tage geprägt sind von Arbeit und Mühsal.
Arbeit hatte ich vor mir – Mühsal würde zwangsläufig folgen, denn ich begegnete nach Jahren der Trennung Don Fernando Rodriguez Turnedo – meinem Vater. Allerdings nicht jenem Mann, den ich als Kind verlassen hatte; einem Mann mittleren Alters und fest integriert in seine Arbeit – so fest, dass die Familie daran zerbrochen war. Nein. Ich würde einem alten, kranken Mann gegenübertreten, der mich nur als notwendiges Übel ansah, als billigen Ersatz für seinen Erstgeborenen; ich würde einen Mann treffen, der für mich mittlerweile nur noch eine verschwommene Erinnerung war, die ich mehr aus Pflichtbewusstsein denn aus familiärer Zuneigung „Vater“ nannte. Den unangenehmen Gedanken schob ich, so gut es ging, zur Seite.
Der Anblick des Meeres stimmte mich wieder etwas fröhlicher. Ich liebte das Spiel der Sonne, liebte es, wenn sie ihre Strahlen auf die Oberfläche des Ozeans warf und dabei abertausende von glitzernden Punkten entstanden.
Das geschäftige Treiben am nahen Fischmarkt – vor allem wohl aber die Gerüche, die der Wind mitbrachte – machte mir meinen Hunger wieder bewusst; ich rief den Kellner, um mir eine Kleinigkeit zu bestellen. Wenig später saß ich da mit einem Schälchen gegrillte Garnelen, patatas bravas und einem Glas Rotwein. Die Kartoffeln waren wirklich scharf – ganz nach meinem Geschmack – und ich lehnte mich genüsslich zurück; meinen Blick ließ ich erneut über den Hafen schweifen.
Die Wellen rauschten, angetrieben vom Wind und den Meeresströmungen, Richtung Festland und schwappten mal stärker, mal schwächer als weißer Schaum gegen die Kaimauern. Dort lag die Esperanza imposant im Wasser und nichts schien ihr etwas anhaben zu können.

Von weitem sah das Dampfschiff aus wie eine graue Festung, die man direkt in den Hafen gebaut hatte. Die imposanten Schlote ragten wie drei Türme in die Höhe und bildeten die Mitte des Schiffes. Zu deren Fuße sah man große Rohre mit gebogener Öffnung, die – man konnte die Größe von hier aus kaum einschätzen – hoch aus dem Inneren des Schiffes ragten. Sie sahen aus wie die Kinder der Schlote, die neugierig einen Blick auf das Festland zu erhaschen suchten. Ihre Funktion erschloss sich mir nicht; ich würde dem an Bord nachgehen. Später.
Neugierig ließ ich meinen Blick weiterschweifen. Sowohl am Bug als auch am Heck befand sich ein gewaltiger Mast, gestützt durch eine Vielzahl von Seilen. Meine Augen blieben an den bunten Fähnchen hängen, die wild im Wind flatterten.
Das Bild erinnerte mich an die Wäscheleine meiner geliebten Nanìta, die – wenn sie mich nicht gerade mit heißer Schokolade und frischem Gebäck aus ihrem Backofen verwöhnte – mit allerlei Aufgaben, die ein so großer Haushalt wie der unsere mitbrachte, beschäftigt war.
Für kurze Zeit war ich wieder sechs Jahre alt und hatte wahnsinnige Sehnsucht nach einer liebevollen und mütterlichen Umarmung, die mir Mut machte angesichts der Veränderung, die vor mir lag.
Ich konzentrierte mich wieder auf die Meeresfestung. Hinter einem der kleinen Fensterchen an der Außenseite des gewölbten Schiffsbauches, die man von hier aus kaum sehen konnte, würde ich die nächsten Wochen verbringen.
Ich würde den Atlantik überqueren.
Auf der anderen Seite erwartete mich mein neues Leben in Venezuela.


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